Joachim Schummer
Institut für Philosophie, Universität Karlsruhe, D-76128 Karlsruhe, js@hyle.org
Wer sich heute kunsttheoretisch mit der Farbfeldmalerei beschäftigt, wird kaum umhin kommen, sich mit dem Verhältnis zwischen Kunsttheorie und Kunstpraxis ganz allgemein auseinanderzusetzen. Denn mit der theoretischen Thematisierung der Farbfeldmalerei etabliert sich erst eine uns heute vertraute Form der Kunsttheorie als Kunstkritik in einem ganz spezifischen sozio-historischen Kontext.
Auf den ersten Blick fehlt es allerdings bis heute an einschlägigen theoretischen Abhandlungen, die sich explizit der ‚Farbfeldmalerei‘ widmen. So führt bspw. die Library of Congress, also die Nationalbibliothek des ‚Mutterlandes‘ des color field painting, unter ihren 17 Millionen Büchern kein einziges Werk, das jene Kunstrichtung explizit im Titel führt. Schaut man jedoch genau hin, dann zeigt sich, daß die Farbfeldmalerei sehr ausführlich in Überblickswerken zur neueren Kunst meist unter dem Stichwort ‘amerikanische Avandgardemalerei‘ abgehandelt wird. Die Farbfeldmalerei, so will es jene Kunstgeschichtsschreibung, ist eine US-amerikanische Innovation. Mehr noch: sie ist der Durchbruch der Malerei schlechthin, der ihr erstmals zu jener Art von Autonomie verholfen habe, die gemeinhin als Moderne im eigentlichen Sinne gekennzeichnet wird. Denn erst in der Farbfeldmalerei emanzipiert sich die Malerei von allen inhaltlichen und formalen Fremdbestimmungen und nimmt sich selbst zu ihrem eigenen Gegenstand. Vom Blickpunkt einer Geschichte der Kunsttheorie ist daran nicht allein der Isolationismus bedeutsam, der ältere europäische Bewegungen, von Malewich‘ Suprematismus bis zur De Stijl Gruppe um van Doesburg und Mondrian in der Retrospektive gerne übergeht. Bemerkenswerter ist, daß diese Innovation in den USA im Unterschied zu Europa nicht von Künstlern ausging, sondern von einer sich gerade etablierenden Zunft von Kunstkritikern, die ihren heimischen Künstlern die neuen Theorien gleichsam verordneten. Denn nur so konnte der transatlantische Ideenimport zugleich ein folgenreiches Spannungsverhältnis zwischen Kunsttheorie und Kunstpraxis fördern. Die Schlüsselfigur dabei war Clement Greenberg.
Die Bedeutung dieser Entwicklung aus der US-amerikanischen Perspektive wird erst vor dem Hintergrund der Vorgeschichte verständlich. Die Malerei in den USA der 20er und 30er Jahre beschränkte sich im wesentlichen auf Portraits reicher Industrieller, auf lokalpatriotische Landschaftsdarstellungen und nostalgische Siedlerszenen, in die gelegentlich biblische Offenbarungsmotive eingemischt sind. Die Wirtschaftskrise trug ein übriges dazu bei, um den ohnehin wenig angesehenen Künstlern Brot und Chancen auf Professionalität zu nehmen. Daran konnte auch Roosevelts Public Work of Art Project (1933) und das daran anschließende Federal Arts Project wenig ändern. Galt der Künstler zwar als Taugenichts, so sah man in ihm immerhin noch ein gewisses Vorbild eines sozialen Idealisten, der überdies die Fähigkeit besaß, andere von ihrem sozialen Elend ablenken zu können – beides versuchten sich die Projekte zunutze zu machen. Engagiertere – und betuchtere – Künstler wechselten den Kontinent oder orientierten sich, sofern sie sich dem sozialistischen Realismus zugezogen fühlten, an mexikanischen Malern. Mit einem Wort: die USA waren künstlerisch bestenfalls eine Provinz.
Erst in der zweiten Hälfte der 30er Jahre, als die erste Emigrationswelle in New York Fuß gefaßt hatte, begann man langsam, sich den avantgardistischen Kunstströmungen Europas zu öffnen. Das noch junge New Yorker Museum of Modern Art veranstaltete unter Leitung seines ersten Direktors, Alfred H. Barr, eine Ausstellung ‚Cubism and Abstract Art‘ (1936). Josef Albers gründete 1937 die Künstlervereinigung American Abstract Artists. Und die zunächst eher exotische Malschule, die Hans Hofmann bereits 1933 in New York eröffnet hatte, erfuhr einen beträchtlichen Zulauf.
In Zeiten solcher Neuorientierungen gewinnt die theoretische Formulierung von Ideen, also die Ideologie, einen besonderen Stellenwert. Das gilt hier um so mehr, als es sich zunächst um einen Ideentransfer von einem Kontinent in einen anderen handelte. Ideen lassen sich nicht einfach in Kisten verpacken und verschiffen. Sicherlich, einzelne Kunstwerke können exemplarisch für bestimmte Ideen stehen; doch um sie so zu verstehen, muß man bereits wissen, für was sie stehen. Der gedankliche Austausch über das Medium der Sprache ist unabdingbar. Aber er enthält, wenn er über den Umweg des Theoretikers verläuft, eigene Tücken. Die Transferaufgabe des Theoretikers ist es, aus der Vielzahl von sprachlichen und künstlerischen Äußerungen, von Tendenzen, Strömungen und Gegenströmungen, eine Art Essenz zu extrahieren, die gedanklich aufbereitet im eigenen Land vermittelbar ist. Der Theoretiker muß in einer solchen Situation notwendigerweise vereinfachen, strukturieren, gewichten, werten; und er kann dabei letztlich nur auf seinen subjektiven Standpunkt zurückgreifen.
Clement Greenberg (1909-94) war auf ausgezeichnete Weise begabt, die Rolle des ‚Transfertheoretikers‘ zu übernehmen. Er verfügte nicht nur über eine kunsthistorische Bildung, er war auch bestens vertraut mit zeitgenössischen kunsttheoretischen Ansätzen sowie den politische Entwicklungen in Europa. Insbesondere besaß er eine ungewöhnliche Fähigkeit zur theoretischen Durchdringung und gedanklichen Abstraktion, die, wie noch zu zeigen sein wird, Gefahr lief, über das Ziel hinauszuschießen.
Unter dem Einfluß kunsttheoretischer Ansätze der deutschen Linken (insbesondere von E. Bloch und W. Benjamin) formuliert Greenberg bereits 1939 in seinem Aufsatz Avant-Garde and Kitsch eine erste Positionsbestimmung. Während der Kitsch die äußeren Wirkungen von Kunst (z.B. Unterhaltung, Illustration) nachahme und zu optimieren strebe, gehe es der Avantgardekunst um die Kunst selber, und d.h. in erster Linie um ihre eigenen Medien und gestalterischen Elemente:
Kurioserweise sollte Greenbergs Konzept der reinen Malerei in den USA noch einige Zeit Programm bleiben, weil ihm die Kunstgeschichte gewissermaßen einen Strich durch die Rechnung machte. Tatsächlich immigrierten einfach die ‚falschen‘ Avantgardekünstler in die USA. Im selben Jahr, als Greenberg sein Programm formulierte, wechselte fast die komplette Pariser Surrealistenszene nach New York – und die hatten alles andere im Sinn als ‚reine Malerei‘. Der Einfluß der schillernden Persönlichkeiten, mit ihrem Hang zum Experimentellen und Provokativen, war stärker als die reine Theorie. Diejenigen US-amerikanischen Maler, die sich der Abstraktion zugewandten, entwickelten sich zunächst in eine dem Greenbergschen Konzept entgegengesetzte Richtung. Die sog. ‚Automatismus‘-Experimente der Surrealisten, die dem (Freudschen) Unterbewußtsein im künstlerischen Akt zu unmittelbarem Ausdruck verhelfen sollten, wurden zum Vorbild einer ganzen Generation. Man lehnte figurative Malerei ab, nicht weil man mit Greenberg das Malmedium reflektierte, sondern weil man in der Abstraktion eine Befreiung der Ausdrucksmöglichkeiten vom Zwang des Gegenständlichen sah. Nicht die Geometrie, sondern die Psychologie wurde die theoretische Leitdisziplin der 40er und 50er Jahre – der Zeit des sog. ‚Abstrakten Expressionismus‘, den man später zum ‚Triumph der amerikanischen Malerei‘ verklärte. Man beschäftigte sich nicht mit dem Wesen der Malerei, sondern mit der Psyche. Frei nach C.G. Jung wurde die Seele nach mythischen Symbolen durchforstet (z.B. Gorky, Baziotes und der frühe Pollock); ‚verhaltenspsychologisch‘ versuchte man der Geste des Malens Ausdruck zu verhelfen (Pollock, de Koning, Kline); wahrnehmungspsychologisch studierte man die Wirkung der Farben (z.B. Newman, Rothko, z.T. Still).
Wie hat der Theoretiker der ‚reinen Malerei‘ darauf reagiert? Eigenartigerweise avancierte Greenberg bald durch seine unermüdliche Rezensionstätigkeit zum kunstkritischen Patron des Abstrakten Expressionismus, und damit zum Übervater der amerikanischen Kunstkritik. Greenberg war es auch, der Jackson Pollock nach anfänglichem Unbehagen zum ‚ersten modernen amerikanischen Maler‘ erklärte. So wenig er mit dem expressionistischen Ansatz anfangen konnte, so sah er doch in der konsequenten Abstraktion einen ersten Schritt hin zur Vollendung seines Programms. Die Flächigkeit, die er in Pollocks drip-paintings angenähert fand, sollte er bald noch deutlicher in den Farbfeldarbeiten von Newman, Rothko, Still erkennen. Nicht die Wahrnehmungspsychologie interessierte ihn, geschweige denn die Erhabenheitswirkung, auf die sich Newman mit seinen immer größer werdenden Leinwänden berief, sondern allein die Flächigkeit, die beim Schritt von easel painting zu mural painting eben noch dominanter wurde. In dem Maße, in dem seine Autorität als Kunstkritiker wuchs, versuchte er aktiv, den Kunstprozeß in ‚seine‘ Richtung zu lenken. Unter seiner selektiven Feder wuchsen bereits in den 50er Jahren Louis, Davis, Noland, Stella, Olitsky, wobei sich die letzten drei später, wie übrigens auch Ad Reinhardt, offiziell zu seiner ‚reiner Malerei‘ bekannten. Schließlich nahm Greenberg das Ausstellungswesen selber in die Hand. Seine wohlausgewählte Sammelaustellung ‚Post-Painterly-Abstraction‘ (1964), mit dem erklärten Ziel, das gestisch-expressive und subjektiv-emotionale aus der Abstraktion zu vertreiben, beendete den Abstrakten Expressionismus in den USA.
Kurz zuvor hatte Greenberg noch einmal als Theoretiker zu einem grandiosen Schlag ausgeholt, in seinem inzwischen zum Klassiker gewordenen Aufsatz Modernist Painting (1960). Der Text ist vor allem deswegen bedeutsam, weil er die im wesentlichen beibehaltene Theorie der ‚reinen Malerei‘ nun in eine allgemeine Theorie der Moderne einbindet und daraus normative Standards zur Bewertung von Kunst zu gewinnen sucht. Aus der ehemaligen Rolle des ‚Transfertheoretikers‘ ist die Figur des autonomen Kunstkritikers geworden. Das Spannungsverhältnis zwischen Kunsttheorie und -praxis erreicht seinen Höhepunkt. Auch wenn die Gegenreaktion bald sehr heftig erfolgen sollte, so hat Greenberg doch in diesem Aufsatz Denkfiguren geprägt, die für seine Zunft bis heute von Bedeutung sind. Es lohnt sich also genauer hinzuschauen. Mit explizitem Bezug auf Kant, den Greenberg als den "ersten wirklichen Modernisten" betrachtet, schreibt er:
Man könnte es als indirekte Reaktion auf Greenberg ‚Reinheitsverordnungen‘ werten, daß Künstler später ein besonderes Interesse gerade an der Überwindung der Kunstgattungen, an sog. ‚Grenzüberschreitungen‘, zeigten. Als direktere, möglicherweise sogar beabsichtigte, Reaktion auf Greenbergs ‚Präventivästhetik‘ erfolgte jedenfalls bald eine rege theoretische Betätigung von Künstler selber. In den Worten von Greenbergs Zunftgenosssen John A. Walker "erkannten gewisse Künstler [...], daß die Darlegung der theoretischen Grundlagen ihrer Kunst viel zu wichtig war, um Nicht-Künstlern überlassen zu bleiben" (S. 6). Keineswegs unwahrscheinlich ist es auch, daß sich die Language & Art Bewegung, die ihre Theorien über Kunst selbst zur Kunst deklarierte, als radikale Gegenreaktion zu solcherart externer Bevormundung entwickelte. Denn in dem Maße, in dem die Kunstkritik autonom wurde, wuchs die Heteronomie der Künstler. Eigenartigerweise wurde dieser Trend zunächst sogar dadurch gefördert, daß die Kunstkritiker zunehmend die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit US-amerikanischer Künstler gegenüber dem europäischen Einfluß betonten. Man projizierte gleichsam die eigenen Autonomievorstellungen in Gestalt von Theorien auf die heimischen Künstler. Wiederum in den lapidaren Worten von Walker (ebd.): "Je einfacher die Bilder wurden, um so komplizierter wurden die Theorien, bis sich schließlich die Arbeiten nur noch wie Illustrationen zu den Theorien eines Kritikers ausnahmen." Zwar hatte Greenberg selber bereits in den abschließenden Passagen von Modernist Painting versucht, diesen Einwand vorwegzunehmen. Aber seine Bemerkung, daß modernistische Kunst praktisch, spontan, individuell und alles andere als Demonstration von Theorien sei, war so unvereinbar mit seinem eigenen dogmatischen Konzept, daß sie nur als aufgesetzter Beschwichtigungsversuch gewertet werden konnte.
Der Vorwurf, daß das Kunstwerk nur noch als Illustration einer Theorie betrachtet und als solches bewertet wird, trifft das Grundproblem des Verhältnisses zwischen Kunsttheorie und -praxis auf den Punkt. Das Problem scheint, zumindest im Rahmen einer sich autonom verstehenden Kunstkritik, unentrinnbar; und es ist hierzu auch bei aller Wortgewaltigkeit von Kunsttheoretikern, soweit ich sehe, bis heute keine überzeugende Lösung gefunden worden. Greenberg selber hat in Moderninst Painting unter Anleihen bei der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie immerhin noch beiläufig angeboten, der Kunsttheoretiker möge die faktische Kunst als Testfall zur Überprüfung seiner Theorien betrachten. (Wir haben gesehen, wie wenig er sich selber daran gehalten hat – er wird später sogar in einen Skandal verwickelt, weil Kunstwerke handgreiflich an seine Theorie anpaßt!) Diese Lösung erscheint zwar, auch wenn dabei strenggenommen die Autonomie der Kunstkritik auf der Strecke bleibt, zunächst überzeugend. Sie verlangt aber, was sich selbst im Falle der ‚harten Wissenschaften‘ als uneinlösbar erwiesen hat, daß nämlich der sinnlich erfahrbare Gegenstand, das Kunstwerk, eine ‚harte‘ Testinstanz ist, an der sich Theorieentwürfe eindeutig als falsch erweisen können. Betrachtet man jedoch die verschiedenen, sich geradezu widersprechenden Theorieangebote, die für Kunstwerke allein des Abstrakten Expressionismus mit gleicher Überzeugungskraft dargeboten wurden, dann dürfte deutlich werden, daß dieses wissenschaftstheoretische Lösungsangebot in der Kunsttheorie kaum Chancen besitzt.
In dem historischen Kontext, um den es in dem vorliegenden Beitrag hauptsächlich geht, nämlich den Kontext des interkontinentalen Ideentransfers, mochte dieses Grundproblem aus Praktikabilitätsgründen ursprünglich tolerabel gewesen sein. Denn Ideen lassen sich, wie gesagt, nicht in Kisten verpacken und verschiffen, sondern man muß sie aus dem Bereich, dem sie entstammen, irgendwie extrahieren, und das heißt notwendigerweise auch, ihnen Gewalt antun. In diesem Kontext etablierte sich aber zugleich auch erst jene besondere Form der Kunsttheorie als autonomer, gegenwartsbezogener Kunstkritik, die uns heute als selbstverständlich erscheint, die aber jenes Problem seitdem mit sich weiterträgt. Würde man Greenbergs Modernismuskriterium an jene Form der Kunstkritik selber anlegen, dann zeigte sich zwar eine Art von Autonomie, insbesondere eine soziale Unabhängigkeit von der Kunstpraxis. Ohne eine konstruktive Selbstkritik der eigenen Grundlagen wäre dies aber eben nur eine vormoderne, d.h. dogmatische Kunstkritik.
Anstelle des Sprungs von vormoderner
Dogmatik zu ‚postmodernistischen‘ Kunstkommentierungen müßte
eine moderne Kunstkritik erst ihre deskriptiven und normativen Grundlagen
selbstkritisch reflektieren und erarbeiten. Dazu abschließend zwei
sehr knappe Bemerkungen: (1) Wir haben gesehen, wie Greenberg aus der kunsthistorischen
Rekonstruktion einer Entwicklungslinie im Fehlschluß dogmatische
Kriterien für die Bewertung von Gegenwartskunst zu begründen
versucht hat. Das gilt heute zu Recht als eine unseriöse normative
Grundlage. Wenn sich hingegen heute Kunstkritiker aus Mangel an allgemein
anerkannten normativen Kriterien expliziter Bewertungen i.d.R. enthalten,
dann bewerten sie doch implizit allein durch ihre Auswahl der zu kommentierenden
Kunst. Das entspricht jedoch einem historischen Rückschritt zur vormodernen
patriarchalischen Form der Bewertung, die sich nicht mal auf dogmatische
Kriterien, sondern allein auf die soziale Autorität des Kritikers
stützt. (2) Selbst wenn man auf Theorien und explizite Bewertungen
verzichtet, ist jedes Sprechen über Kunst notwendigerweise mit begrifflichen
Mitteln formuliert. Jeder Begriff umfaßt aber – das hat uns die Sprachphilosophie
gelehrt – mehr als nur einen einzelnen Gegenstand, also etwa ein Kunstwerk.
Für Kunsthistoriker sowie insbesondere für ‚Transfertheoretiker‘
scheint eine begriffliche Einordnung von Kunstwerken unumgänglich.
Wenn der Begriff das Kunstwerk einerseits einordnet, dann ist das Kunstwerk
andererseits bestenfalls eine partielle Illustration des Begriffs.
Das mag für die Geschichte tolerabel sein, im Sprechen über Gegenwartskunst
wird es jedoch zur Anmaßung. M.a.W.: das Illustrationsproblem, das
man Greenberg und seinen Kollegen vorgeworfen hat, basiert auf einem ganz
allgemeinen sprachphilosophischen Problem, das in verschiedensten Gebieten
auftaucht, aber in der Kunsttheorie bis heute am wenigsten reflektiert
ist. (Den einzigen ernstzunehmenden Versuch sehe ich bei R. Wollheims Arts
and its Objects, 1980.) Leider findet sich nur allzu oft die – neu-platonisch
vorbereitete und idealistisch ausgetretene – Scheinlösung, daß
man die kunsttheoretisch zu thematisierenden Aspekte am Kunstwerk mit dem
Kunstwerk selber verwechselt, um so vermeintlich das Kunstwerk – durch
Hypostasierung zum Gedankending – auf eine Ebene mit den Begriffen zu bringen.
Dadurch verliert zwar das Kunstwerk per Definition seinen bloß illustrativen
Charakter, der nun von einem materiellen Hilfsding erfüllt wird. Für
diese Lösung haben sich nicht zuletzt auch Strömungen der Kunst
selber angeboten in Gestalt der Concept Art, und noch deutlicher
in der Language & Art Bewegung. Doch im allgemeinen gelingt
dies nur, wenn zugleich auch das Kunstwerk aus dem Blick verschwunden ist.
Das ist in dann gleichsam der Freibrief für den Kunstkritiker: dasjenige
worüber er zu sprechen hat, sind bloß seine eigenen Gedanken.
Greenberg, C.: The Collected Essays and Criticism, 4 Bde., hrsg. v. J. O’Brian, Univ. of Chicago Press: Chicago, 1986.
Harrison, Ch.; Wood, P. (Hrsg.): Art in Theory 1900-1990. An Anthology of Changing Ideas, Blackwell: Oxford, Cambridge/MA, 1992 (AiT).
Rubenfeld, F.: Clement Greenberg: A Life, Scribner: New York, 1997.
Sandler, I.: Abstract Expressionism. The Triumph of American Painting, Harper & Row: New York, London, 1970.
Walker, J.A.: Art since Pop, Thames & Hudson: London 1975 (dt.: Kunst seit Pop Art, Knaur: München, Zürich 1975).